Tom Levold im Gespräch mit Elisabeth Ritter-Vernier
Elisabeth Ritter-Vernier: Tom, du kommst ursprünglich aus der soziologischen Richtung und bist dann zur Psychotherapie gekommen. Eher selten steigt man gleich in die Arbeit mit Paaren ein. Wie hast du dich der Paartherapie angenähert?
Tom Levold: Ich bin über die Arbeit mit Familien in die therapeutische Szene gekommen. Nach meinem Studium habe ich in einem Heim gearbeitet, in dem Ende der 1970iger Jahre familientherapeutische Experimente gemacht wurden. Ich habe in unterschiedlichen Teams – in Viererteams streng nach dem Mailänder Modell – in unterschiedlichen klinischen Settings familientherapeutische Erfahrungen machen können. Weiters habe ich in einer privaten Praxis mit zwei älteren psychoanalytischen Kolleg*innen, einem Kolleg*innenpaar gearbeitet, die beide sehr viel Erfahrung in der Arbeit mit Paaren hatten und auch Paargruppen machten. Als junger Mensch haben mir diese ersten Begegnungen mit der Paartherapie sehr viel Respekt eingeflößt, weil die Arbeit mit Paaren, das würde ich auch heute mit meiner Erfahrung sagen, eines der schwierigsten Settings im systemischen Feld darstellt. Denn man hat immer mit zwei konflikthaften Positionen zu tun und keine Möglichkeit der Umweg-Kommunikation, kein verbindendes drittes Thema, wie das bei der Arbeit mit Familien der Fall ist.
ERV: Wie hat sich deine Herangehensweise in der Arbeit mit Paaren im Laufe der Jahre entwickelt und verändert? Was ist dir wichtig geworden?
TL: Ich möchte eher von einer Vertiefung meines Blickes als von einer Änderung meiner Herangehensweise sprechen. Geändert hat sich meine Sicherheit und Gelassenheit mit diesem Setting. Als ich als Therapeut angefangen habe, war ich Mitte 20 und hatte auch mit Paaren zu tun, die meine Eltern hätten sein können – eine besondere Konstellation. Mit über 40 Jahren Erfahrung fühle ich mich sehr viel entspannter. Und es macht mir nach wie vor unglaublich Spaß! Sich auf die Arbeit mit Paaren zu freuen, es interessant zu finden, auch wenn es konflikthaft und entwertend in deren Kommunikation sein kann, ist eine wichtige Voraussetzung.
ERV: Inwieweit haben eigene Beziehungserfahrungen Einfluss darauf, welche Bilder ich in mir trage, wie Beziehung sein muss?
TL: Ich plädiere sehr dafür, sich intensiv mit der Frage nach dem eigenen Background auseinander zu setzen. Ich selbst bin zwei Mal erfolgreich geschieden, habe seit einiger Zeit eine wunderbare Beziehung, und nächstes Jahr werde ich ein drittes Mal heiraten, mit 69 Jahren. Ich erzähle das immer in den Kursen, in denen ich seit gut 15 Jahren Kolleg*innen mit systemischer Grundausbildung nach dem von mir entwickelten Curriculum ausbilde. Da wird deutlich, dass man ganz unterschiedlich auf Paare schaut, je nachdem, ob man selber gerade alleine ist, frisch verliebt oder in einer konflikthaften Dynamik. Wichtig für Paartherapeuten ist, sich in dieser Hinsicht zu reflektieren, damit man Paaren nicht die eigenen Einstellungen, Haltungen oder Lösungen anbietet. Das könnte intuitiv nahe liegen, wenn ich merke, mir geht etwas so gegen den Strich wie der*m einen der beiden Partner*in beim*der anderen. Diese Reflexion ist eine wichtige Voraussetzung, um sich tatsächlich allparteilich beiden Partner*innen zuwenden zu können.
ERV: Der gesellschaftliche Kontext, die Zeit, in der wir leben, Rollenbilder von Mann- und Frausein – haben Kinder und Jugendliche Vorbilder, wie langjährige Beziehungen ausschauen können? Beziehungen, in denen man sich Konflikten stellt, für eine Sache kämpft, wo die Trennung nicht gleich von Anfang an als Option mitgedacht wird?
TL: Generell gibt es kaum einen Bereich, in dem gesellschaftlicher Wandel unmittelbarer zu beobachten ist, als in der Frage, wie man als Paar zusammenlebt. Die Situation ist heute eine andere als vor 40, 50 Jahren. Insofern ist auch die Frage starken Veränderungen unterworfen, wie lange Beziehungen andauern und wann es u.U. zu einer Trennung kommt. Die Anzahl der Scheidungen hat in den 90iger Jahren, Anfang der Nuller-Jahre, einen Höhepunkt erreicht und ist seitdem wieder leicht rückläufig. Es ist sicherlich ein Unterschied, ob Paare Verantwortung für Kinder haben oder nicht. Natürlich gehört es zur Lebensrealität von Kindern, dass Beziehungen von Eltern auseinander gehen können. Positiv ist, dass das nicht mehr ein Schicksalsschlag ist, der einen von allen anderen Kindern und Jugendlichen unterscheidet; in den 60iger-Jahren war man als Scheidungskind sehr stigmatisiert.
Die Frage ist, investieren Partner:innen genug, um ihre Beziehung zu pflegen und aufrecht zu erhalten, oder geben sie schnell etwas auf, was ihnen wertvoll sein müsste? Ich halte mich da mit einer Wertung zurück. Für mich als Paartherapeut ist wichtig, in welcher Phase sich ein Paar befindet. Die Formationsphase ist die Zeit, die ein Paar braucht, um sich wirklich zu finden, Sicherheit zu bekommen, zu erleben, dass sie zusammengehören und ein Paar sind. Manche Paare sind schon seit 10 oder 20 Jahren in der Formationsphase – sie prüfen die:den Partner:in ständig darauf hin, ob er oder sie tatsächlich der Partner fürs Leben ist oder ob vielleicht noch was Besseres vorbeikommt. Gerade in den letzten Jahren habe ich häufig Paare erlebt, die sich im Internet kennen gelernt haben, erstaunlich kurz erst beisammen sind und sehr enthusiastisch in diese Beziehung gestartet sind. Wenn es schwierig wird, ist häufig nicht die Geduld vorhanden, sich Zeit zu nehmen, um zu klären, wie sie miteinander leben wollen.
Das würde ich abgrenzen von Paaren, die diese Entscheidung bereits für sich getroffen haben, die trotz Krisen und Konflikten an der Beziehung arbeiten, sie aufrechterhalten und verändern möchten. Auch wenn eine Entscheidung für eine Trennung in der Luft liegt oder schon vollzogen wurde, stecken manche Paare länger in einer Phase von Trennung und Auflösung, weil dieser Schritt schwerfällt, oder beide wünschen oder fordern, die:der jeweils andere müsse den ersten Schritt machen und gehen. Die Angst davor, die Beziehung aufzulösen, führt zu völlig unterschiedlichen Dynamiken und Konflikten.
Die Dauer einer Beziehung sagt also noch wenig darüber aus, ob sie stabil oder instabil ist; relevant ist der zentrale Fokus, um den es in der Beziehung geht.
ERV: Du bist auf Phasen der Beziehung eingegangen. Gibt es weitere Überlegungen und Konzepte, die dich in der Arbeit mit Paaren leiten?
TL: Ja, ein ganz zentrales Konzept, das ich von Don Catherall, einem amerikanischen Paartherapeuten, übernommen habe. Ich konnte den Carl- Auer-Verlag erfreulicherweise überzeugen, sein Buch über „Emotional Safety“ in einer deutschen Fassung mit dem Titel „Emotionale Sicherheit. Affektive Kommunikation in Paarbeziehung und Paartherapie“ herauszubringen. Ich arbeite damit seit über 10 Jahren, es gehört für mich zu den 10 wichtigsten Büchern zum Thema, von dem
sowohl Paartherapeut:innen als auch Paare profitieren können. Es geht dabei darum, Probleme der affektiven Kommunikation in Paarbeziehungen vor dem Hintergrund der Grundbedürfnisse nach Bindungssicherheit und Anerkennung sowie der lebensgeschichtlichen Bindungserfahrungen der Partner:innen zu bearbeiten. Es geht dabei darum, den Fokus in der Arbeit mit Paaren nicht auf die vordergründigen Anliegen zu legen, mit denen im Alltag ja zu rechnen ist. Viele Paare haben jede Menge Probleme, einfach weil sie als Paar zusammenleben. Viele dieser Probleme sind aber nicht lösbar: Unterschiedliche Präferenzen der Ordnung, des Umgangs mit Geld, der Zeitlichkeit sexueller Bedürfnisse usw. halte ich für nicht lösbar in dem Sinne, dass man die Bedürfnisstruktur des anderen übernimmt. Meine Haltung ist dagegen, zu schauen, was lösbare Probleme sind – und den Umgang mit unlösbaren Problemen halte ich für ein prinzipiell lösbares Problem. Die Gefahr liegt darin, sich in den vielen einzelnen Problemen, die Paare auf der Vorderbühne ihres Theaters aufführen, zu verlieren; leicht glaubt man als Therapeut*in – und wird dazu natürlich auch eingeladen – diese Probleme konkret und inhaltlich lösen zu müssen. Was mich interessiert, und dafür ist das Buch von Don Catherall hilfreich, ist zu verstehen, was auf der Hinterbühne passiert: Welche Dynamiken führen dazu, dass auf der Vorderbühne immer wieder ähnliche Konflikte bei unterschiedlichen Themen, die Paare miteinander verbinden, ausgetragen werden? Zwei Aspekte sind aus meiner Sicht zentral: Das Sicherheitsbedürfnis in Hinblick auf Zugehörigkeit – das ist der Bindungsaspekt mit der Frage: „Bin ich wirklich Teil der Beziehung, will die:der andere wirklich mit mir zusammen sein und ich mit ihr:ihm?“ Und die Regulierung von Achtung und Missachtung in der Beziehung. Als soziale Lebewesen haben wir ein Grundbedürfnis nach Sicherheit in der Zugehörigkeit zu unseren primären sozialen Beziehungen ebenso wie nach Anerkennung, die unseren Status und Wert in der Beziehung markiert. Wenn die Regulierung dieser beiden Elemente in Beziehungen unklar, unsicher oder konflikthaft erlebt wird, führt das dazu, dass alle möglichen Konflikte auf der Vorderbühne auftauchen, deren Dynamik aber von der Hinterbühne in Gang gebracht und gehalten wird.
ERV: Da denke ich an Stephen Porges, die Polyvagaltheorie und Deb Dana, die die Überlegungen um die Polyvagaltheorie in die therapeutische Praxis aufnimmt. Kannst du ein paar Punkte herausgreifen, die dir im therapeutischen Arbeiten mit Paaren hilfreich erscheinen? Worauf achtest du?
TL: Erst mal finde ich wichtig, darauf zu achten, wie gut eine affektive Regulation gelingt. Das sind immer zwei Aspekte: Können sich beide Partner:innen, wenn sie merken, die Intensität steigt und man wird von negativen Aspekten überflutet, ausreichend selbst regulieren? Und – der zweite Aspekt – wie können sie sich gegenseitig bei der Regulierung helfen? Die Frage ist immer, was Paartherapie leisten kann, denn im Paarsetting geht es auch sehr stark um den zweiten Aspekt. Paare kommen sehr unter Druck, wenn das Gefühl vorherrscht, gegen die:en Andere:n müsse man sich ständig verteidigen. Unter dem Stress von intensiven Konflikten bleibt dem Selbstregulationssystem nur Kampf, Flucht oder Resignation – in der Therapie geht es aber darum, zu intelligenteren und kooperativeren Regulationsstrategien zu finden. Hier finde ich die Konzepte von Porges sehr hilfreich, da es ja auch bei ihm um diese regulativen Prozesse geht, wenn auch weniger unter Interaktionsaspekten.
ERV: Das finde ich sehr spannend, denn in der Frage um Selbstregulation und Co-Regulation sieht man schon einiges im Tun mit dem Paar.
TL: Genau. Ein weiterer Punkt ist, mit dem Paar in Hinblick auf ihre Interaktion und die Art und Weise, wie sie bestimmte Themen miteinander bearbeiten, zu schauen, welche Muster sie miteinander eingegangen sind. Wie hängen diese zusammen mit den Mustern, die sie aus ihren Ursprungsfamilien mitgebracht haben? Denn oft muss der:die Partner:in als Adressat:in für etwas herhalten, was mit unerledigten Geschichten aus der eigenen Ursprungsfamilie zu tun hat. Das untersuche ich mit den Paaren und wir schauen, wie sie in solchen Situationen ihre Muster identifizieren, unterbrechen und alternative Muster entwickeln können. Mir ist wichtig, dass Paare das Handwerkszeug bekommen, um sich zu beobachten und Alternativen auszuprobieren. Aus diesem Grund mache ich in der Regel auch nur Sitzungen im Abstand von 4 Wochen. So können sie Dinge ausprobieren und ein frühes Erfolgserlebnis haben. Gerade bei Paaren, die schon lange in Konflikten sind, kann eine resignative Haltung vorherrschen, da sie immer wieder in ähnliche Situationen hineinrutschen. Um das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu stärken, brauchen sie rasch Lösungen, die sie praktisch ausprobieren können, damit sie frühzeitig die toxischen oder negativen Interaktionskreisläufe unterbrechen und zu positiveren Alternativen kommen können.
ERV: Tom, da könnte man Gefahr laufen, dass man sich einladen lässt, rasch auf Lösungen erster Ordnung zu fokussieren. Das ist mir in meinen Anfängen passiert und ich habe das erst später in der Reflexion wahrgenommen. Das war mir eine große Lehre. Ich denke, die Differenzierung von Lösungen 1. und 2. Ordnung passt da gut dazu. Du hältst also zuerst nach Leitthemen der Beziehung Ausschau und regst Lösungen 2. Ordnung an, überlegst mit dem Paar, was sie konkret bis zum nächsten Mal ausprobieren können?
TL: Ich plädiere in der Arbeit mit Paaren immer dafür, nach guten Formen des Miteinanders zu schauen. Viele Paare finden den Gedanken zuerst ungewöhnlich, weil sie das Gefühl haben, sie müssen den ganzen Tag lang soziale Formen beachten und respektieren – in der Arbeit, in der U- Bahn – und zu Hause will man dann einfach so sein, wie man ist. Man erwartet auch, dass der andere einen auch so nehmen kann. Aber genau dadurch entstehen spontan negative Kreisläufe, denen man sich nicht gut entziehen kann. Das Angebot, andere Dinge auszuprobieren, ist der Versuch, Formen miteinander zu entwickeln, die helfen können, eine bessere Art und Weise zu finden, die Beziehung zu regulieren, zum Beispiel eine bestimmte Art von Gesprächen. Oder dass man sagt, wir setzen uns zusammen und sprechen über einen bestimmten Konflikt, aber wir stellen uns einen Wecker und nach 20 Minuten ist Schluss. Und wenn wir dann merken, wir müssten viel mehr besprechen, dann machen wir uns einen Anschlusstermin aus. Das wäre eine Form, die die spontane Konfliktdynamik ein Stück weit verstört. Das ist noch keine Lösung des Problems, aber der Versuch, andere Settings zu erfinden, in denen sie ihre eigene Dynamik auf eine andere Art und Weise beobachten können und selbst herausfinden, was für sie gut oder nicht so gut ist.
Ich selbst, und das finde ich wichtig, was meine Haltung betrifft, ich will nichts von den Paaren. Ich möchte nicht, dass sie zusammenbleiben, ich möchte nicht, dass die sich trennen, ich habe überhaupt keine Agenda, wohin ich das Paar bringen will. In Hinblick auf Allparteilichkeit ist für mich erst einmal die Idee hilfreich, dass ich vor allem interessante Gespräche führen möchte. Wenn Paare mich mit ihren Verführungskünsten dahin bringen, etwas zu wollen, wird es schwierig, die Therapie läuft dann nicht sonderlich gut. Wenn ich mich primär für ein gutes Gespräch verantwortlich fühle, aus dem ein Paar für sich selbst etwas mitnehmen kann, ist das etwas ganz anderes, als wenn ich selbst Lösungsideen verfolge. Die Gefahr, dass es
Lösungen werden, die ich in meinen Beziehungen präferiere, ist einfach zu groß. Paare haben sehr unterschiedliche Möglichkeiten, Vorstellungen und Wünsche, die ich mit meinen persönlichen Erfahrungen gar nicht abdecken könnte.
ERV: Tom, gibt es Themen, die regelmäßig in der Begleitung von Paaren kommen?
TL: Sexualität ist etwas Konstitutives für die Beziehung, selbst wenn sie nicht stattfindet. Deshalb frage ich immer schon im ersten Gespräch danach. Nicht weil ich meine, dass alle Probleme etwas mit Sexualität zu tun haben, sondern weil ich wissen möchte, ist Sexualität eine Ressource? Ist sie eine Quelle von Bestätigung, von Freude und Wohlbefinden? Etwas, das helfen kann, über andere schwierige Dinge hinwegzuschauen? Oder ist sie ein Kampfplatz, auf dem sich spiegelt, was in anderen Bereichen auch nicht funktioniert? Oder ist Sexualität womöglich selbst eine Quelle von Stress oder Unglück? Meine Erfahrung ist, dass es sehr wichtig ist, danach zu fragen, weil viele Paare das von sich aus nicht ansprechen. Ähnliches gilt für Gewalt, für Eskalationen – auch da reden Paare häufig verschlüsselt. Wenn man nicht fragt, ob es auch um Gewalt geht, wer wen schlägt, in welchen Situationen, wie weit das geht, dann bleibt die Antwort im Ungefähren
.
ERV: Nicht nur Paaren fällt es schwer, manche Themen anzusprechen, sondern auch Therapeut:innen. Hast du von Anfang an schon nach Sexualität und Gewalt gefragt oder ist es rückblickend ein Prozess, bei dem dein Mut mit der Erfahrung, mit deinem Standing gewachsen ist?
TL: Was mich immer schon fasziniert hat, ist die Frage, wie andere Menschen leben. In meiner Familie habe ich gelernt, dass man danach nicht fragt.
Ich war in den 80er-Jahren in der Kinderschutzarbeit tätig, da ging es immer um manifeste Gewalt, auch um sexuelle Gewalt. Damals habe ich gelernt, wie man mit Menschen in großen Notlagen über diese Dinge sprechen kann und wie man das auf eine Weise tun kann, die nicht dramatisiert. Ich finde es wichtig, Klient:innen deutlich zu machen, dass man über Sex, Gewalt oder Schulden sprechen kann. Meine Botschaft an jüngere Kolleg:innen ist, es einfach zu tun. Man merkt, die Klient:innen sind dann erleichtert. Paare brauchen diese Möglichkeit der Ansprache. Es ist natürlich viel schwieriger, über diese Themen zu sprechen, wenn der:die Partner:in quasi als Publikum dabei ist, als sich in einem Einzelsetting über den:die Partner:in zu beschweren. Wenn der:die andere mit im Raum ist, muss man immer damit rechnen, dass er:sie Einspruch erhebt und sagt, so ist es doch gar nicht, oder das ist ganz anders. Aus dieser Perspektive ist es sehr wichtig, dass wir die Verantwortung für das Ansprechen dieser Themen übernehmen.
ERV: Wie hast du dich anderen Lebensformen angenähert, lesbischen, schwulen, bisexuellen Paaren?
TL: Ich mache da keinen großen Unterschied. Köln ist eine Stadt, wo die Alternativkultur schon in den 80er-Jahren eine große Rolle gespielt hat, es gibt hier sehr viele LGBTQ-Paare. Wichtig ist, dass man offen ist für die Themen, die Paare mitbringen. Der Kern ist für mich die Frage, was bedeutet eigentlich Zweierbeziehung? Was macht den Unterschied zwischen einer Dyade und einer Triade? Bei einer Triade geht es immer um Einschließung und Ausschließung, da hat man immer Zwei-plus eins-Konstellationen. Auch im therapeutischen Gespräch: Wenn ich mit dem:der einen rede, ist der:die andere Zuhörer:in und ein Stück weit draußen. In einer Dyade geht es
primär um Kontakt – ist man gut miteinander in Verbindung? Diese strukturellen Aspekte von Beziehung finde ich viel wichtiger. Als Paartherapeut geht es mir primär um die Frage, wie organisiert man sich in der eigenen Beziehung. Das ist gerade bei den Paaren, die du ansprichst, manchmal ein Problem. Wichtig ist, dies zu unterscheiden von den gesellschaftlichen Diskursen, in denen es auch um Ideologie geht.
ERV: Du hast also die Zweierbeziehung im Blick, und weniger themenspezifische Aspekte?
TL: Genau. Eine leitende systemische Frage ist immer, was ist das Problem X, für das Y die Lösung ist? Was ist das Problem, für das unser Paargespräch heute hier eine Lösung sein kann? Warum kommen sie? Warum gerade jetzt? Was können wir hier machen, damit in Bezug auf welches Problem etwas verändert werden kann? Und da ist für mich nicht wesentlich, was bei einem schwulen Paar anders ist als bei einem heterosexuellen Paar. Ich schaue immer, was in der aktuellen Interaktion ist, was mit hineinspielt. Der Kontext ist ganz wichtig. Zum Beispiel, lebt das Paar offen oder nicht? Ich erinnere mich an Geschichten, wo z.B. nicht klar war, ob die Eltern überhaupt wissen, ob der Mann, der mit ihrem Sohn zusammenlebt, ein Partner ist oder eine WG-Kollege. Das sind Fragen, die, in Hinblick auf die Selbstwahrnehmung, eine große Rolle spielen.
ERV: Tom, du hast angesprochen, dass du viel Erfahrung im Kinderschutzbereich sammeln konntest. Welche Erfahrungen hast du im Laufe deiner Zeit im Umgang mit hochstrittigen Paaren gemacht?
TL: Ich würde sagen, ab einer gewissen Intensität der Affektlage wird es zunehmend schwer, auf einer inhaltlichen Ebene über das, was einen trennt oder was die Konflikte sind, nachzudenken. Therapeut:innen müssen hier schnell die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Eskalationen nicht in der Therapie stattfinden. Das heißt, dass wir uns die Erlaubnis holen müssen, jederzeit im Dienste eines guten Gespräches den Konflikt zu unterbrechen. Weil es schwer wird, wenn es eskaliert, noch einmal das Zutrauen des Paares zu bekommen, dass ich den Prozess auf eine gute Art und Weise steuern kann. Deshalb ist es wichtig, sehr aktiv damit umzugehen und Eskalation im Gespräch nicht zuzulassen. Ab einer bestimmten Erregungsschwelle ist unser Großhirn nicht mehr gut durchblutet. Das heißt, wir können gar nicht mehr nachdenken, wir hören noch, wie die:der andere etwas sagt, aber nicht mehr, was sie:er sagt. Das ist ein Grund, erst mal zu schauen, ob man Intensität herausnehmen kann, damit man über die Affekte reden kann. Wenn ich über einen Affekt reden kann, bin ich in einem anderen Zustand, als wenn der Affekt mich hat. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist aber auch, wie können wir Intensität zuführen? Wie schaffen wir es, Paare aus ihrer Komfortzone der wechselseitigen Beschuldigungen herauszuführen? Das bedeutet, dass wir manchmal Dinge in den Blick nehmen müssen, die für alle Beteiligten nicht so einfach zu besprechen sind. Beides zusammen führt dazu, dass wir auf ein mittleres Spannungsniveau kommen, in dem die möglichen alternativen Umgangsweisen mit Problemen und Konflikten betrachtet werden können.
ERV: Ist diese Spannungsregulierung eine Art Orientierung für dich, wo sich der Prozess gerade befindet?
TL: Genau. Der „Klassiker“ ist: Fünf Minuten vor Ende des Gespräches kommt ein ganz wichtiges Thema auf. Dann stellt man fest, leider haben wir heute keine Zeit mehr, das zu besprechen, und alle sind erleichtert. Das wäre ein Hinweis darauf, dass man sich ein Stück weit davor gedrückt hat, auf den Punkt zu kommen. Das betrifft Themen wie Sexualität oder Dinge, die einen beschäftigen, bei denen eine gewisse Unsicherheit, ein Vermeidungsverhalten da ist. Man möchte sich gerne waschen, aber nicht nass machen. Da müssen wir in der Führung des Gespräches Verantwortung übernehmen.
ERV: Sich die Themen notieren und bei einem nächsten Mal aufgreifen?
TL: Ich würde andersherum optieren: Nach 20 Minuten müssen die intensiven Themen auf dem Tisch liegen. Dann habe ich eine Stunde Zeit, darüber zu sprechen. Wenn ich warte und am Ende der Stunde sage, das machen wir beim nächsten Mal, kann ich sicher sein, dass in der Zwischenzeit so viel passiert, dass dieses Thema wieder nicht angesprochen wird. Mit dem Ergebnis, dass alle erleichtert sind, darum herum gekommen zu sein. Gerade für junge Therapeut:innen ist es eine wichtige Aufgabe zu merken, ich muss schnell Intensität aufbauen. Denn wenn ich in einem niedrigfrequenten Setting arbeite, muss das für das Paar einen Unterschied machen, der einen Unterschied macht. Wenn ich einfach nur sage, heute haben wir interessante Themen besprochen, das setzen wir beim nächsten Mal fort, dann muss das Paar 4 Wochen warten. Dann ist es kein Unterschied, der einen Unterschied macht.
ERV: Wenn du den Eindruck bekommst, es ist für das Paar schwierig auf den Punkt zu kommen, weil es vielleicht heikel wird, Themen wie Außenbeziehungen oder Sexualität anzusprechen, wie erhöhst du die Intensität?
TL: Ich akzeptiere nicht, wenn meine Fragen nicht beantwortet werden. Wird etwas vage formuliert, würde ich nachhaken. Wird ausgewichen oder das Thema gewechselt, würde ich sagen, dass ich dieses Thema für einen wichtigen Punkt halte, auf den wir zurückkommen, aber meine Frage ist noch nicht beantwortet. Wenn die Person sagt, sie will nicht darauf antworten, finde ich das in Ordnung; dann kann ich darüber sprechen, unter welchen Bedingungen man darüber reden kann, oder warum man darauf nicht antworten will. Wichtig ist, dass man die eigenen Fragen ernst nimmt.